Michael Hesemann, Historiker und Autor
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Frühmesse in der päpstlichen Privatkapelle, 17.12.1998; Lesung in deutscher Sprache im Petersdom, Osternacht 1999


Das ist meine Geschichte

- von Michael Hesemann
 
Vielleicht bin ich deshalb vom hl. Paulus so fasziniert, weil auch mein Weg zu Christus nicht ganz ohne Kurven verlief. „Der Weg ist das Ziel“, behauptet die Mainstream-Esoterik. Welch ein Unsinn! Nur das Ziel zählt, gleich, welcher Weg zu ihm führte.
Dabei war das Ziel wohl von Anfang an vorprogrammiert. Mein Elternhaus schmückte mehr sakrale Kunst als manches Pfarrhaus. Mein Vater hatte die dunklen Jahre der NS-Diktatur in der Schweiz verbracht, dem Land, aus dem seine Mutter stammte. Er besuchte das Klosterinternat von Maria Einsiedeln, verbrachte die Ferien auf dem Familienschloss meiner Großmutter, die dem „schwarzen Adel“ Luzerns angehörte und von dessen Hauskapelle er zeitlebens fasziniert war. In seinem Zimmer stand ein Kinderaltar, an dem er nachspielen konnte, was er als Ministrant erlebt hatte. Er wäre ein guter Priester geworden, wenn nicht irgendwann seine Vorliebe für das weibliche Geschlecht  stärker gewesen wäre als der Ruf an den Altar. Als er 1998 nach langer, schwerer Krankheit starb, waren seine letzten Worte, nach dem Empfang der Sterbesakramente: „Es ist gut, was katholisch ist.“

Die Stadt meiner Kindheit, Neuss am Rhein, ist noch heute eine katholische Enklave im sonst so säkularen Westen Deutschlands. Als ich dort 1973 Ministrant wurde, buhlten allein in unserer Pfarrgemeinde 120 Buben um die Ehre, am Altar dienen zu dürfen. Meine Freizeit verbrachte ich bei der KJG. Als der selige Johannes Paul II. im November 1980 nach Köln kam, fuhren wir natürlich alle hin. Bei strömendem Regen hatte ich meine erste, entfernte Begegnung mit dem Mann, der schließlich mein Leben verändern sollte.
Doch zunächst ging ich andere Wege, studierte Geschichte und Volkskunde in der Diaspora, sprich: in Göttingen, befasste mich mit der Dokumentation moderner Mythen, wurde Chefredakteur eines populärwissenschaftlichen Magazins – und spürte doch die Sehnsucht nach dem Glauben meiner Kindheit. Zumindest erlaubte mein Job mir Recherchen in aller Welt. Auf einer Reise nach Mexiko besuchte ich das Heiligtum von Guadalupe, in Portugal fuhr ich nach Fatima – und betete jedes Mal zur Gottesmutter, sie möge mir für meine Zukunft den Weg weisen. Durch einen „Zufall“, auf dem Rückflug von Rom, saß ich neben einem indischen Priester und kam ins Gespräch. Ich ahnte nicht – er hatte es bewusst verschwiegen – dass er für die Glaubenskongregation tätig ist, rief ihn aber „trotzdem“ an, als ich wieder am Tiber weilte, nur um unser Gespräch fortzusetzen. Er sollte mein geistlicher Mentor werden, zudem führte er mich in die Welt der römischen Kurie ein.

Eines Tages erwarb ich, eigentlich als Geburtstagsgeschenk für meinen Vater gedacht, im Münchner Antiquitätenhandel ein Barockreliquiar mit einer Kreuzpartikel und begann, die Geschichte dieser Reliquie zu recherchieren. Ich erfuhr von der Kreuzesinschrift, die in der römischen Basilica di Santa Croce verehrt wird, beschloss, sie zu untersuchen und verfasste einen Bericht. Dieser machte bald in Rom die Runde, bis man mich einlud, ihn nach der Frühmesse in seiner Privatkapelle dem Papst zu übergeben. 

An jenem Morgen wurde die Scala Regia, die mächtige Treppe, die hinauf in den Apostolischen Palast führt, zu meiner ganz persönlichen Himmelsleiter. Die farbenfrohen Fresken, die an mir vorbeiflogen, als ich schnellen Schrittes die Galeria delle Carte Geografiche passierte, zeigten alle Länder der Erde aus der Vogelperspektive und mir war, als sei ich bereits im Himmel. Und tatsächlich erwartete mich Petrus, nachdem zwei befrackte Kammerdiener die Tür zur päpstlichen Privatkapelle geöffnet hatten. Ich war überwältigt, mir war, als sei dieser Raum von Licht erfüllt, ich erahnte die Gegenwart Gottes. Denn im Zentrum der Kapelle, vor dem Altar, dem Bild des Gekreuzigten und der Ikone der Gottesmutter von Tschenstochau, kniete, ins Gebet vertieft, Johannes Paul II.! Zeuge dieser innigen Zwiesprache eines Heiligen mit dem Herrn zu sein war die tiefste, nahezu mystische Erfahrung meines Lebens.   



Frühmesse in der päpstl. Privatkapelle, pers. Audienz in der Bibliothek der päpstlichen Wohnung - 17. Dezember 1998

Sie blieb nicht folgenlos. Seit 1998 war ich als Journalist beim Heiligen Stuhl akkreditiert, doch erst das Heilige Jahr 2000 brachte die endgültige Wende in meinem Leben. Ich beschloss, in dieser Zeit so oft wie möglich nach Rom zu reisen, um von den Ereignissen des Milleniums der Kirche zu berichten. Weihnachten nahm ich an der Eröffnungsfeier im Petersdom teil, im März fuhr ich mit Papst Johannes Paul II. nach Israel, im Mai nach Fatima, im Juni begleitete ich die Veröffentlichung des "Dritten Geheimnisses von Fatima", interviewte den damaligen Erzbischof Tarcisio Bertone, während ein neuer, junger Mitarbeiter der Glaubenskongregation,  Msgr. Dr. Georg Gänswein, übersetzte. Auf der Heiligjahrfeier der Journalisten im Juni beschloss ich, keine "halben Sachen" mehr zu machen. Es sollte mein journalistisches „ad sum“ werden: Im Gebet versprach ich, fortan der Neuevangelisierung zu dienen, wenn der Herr den Weg dafür ebnen würde. Und so geschah es: Innerhalb von sechs Wochen befand ich mich in einer Situation, die mich geradezu zwang, meine Kündigung als Chefredakteur einzureichen, während neue Aufgaben und Buchprojekte auf mich warteten. Bis heute bereute ich keinen einzigen Tag, diesen Schritt gemacht zu haben.


Prima fila Audienzen beim hl. Johannes Paul II., 2001, 2003

Fortan widmete ich mich der Untersuchung, Dokumentation und Verbreitung der großen Traditionen des christlichen Europas, der Kirchengeschichte und der Verteidigung von Papst und Kirche. Ich stieß zum Vatican-Magazin, der Tagespost, kath.net und kathnews.de, für die ich über aktuelle Ereignisse berichtete, während ich mir die „großen Geschichten“ für meine bislang 20 einschlägigen Bücher aufhob. Das Pontifikat Benedikts XVI., diese Rückbesinnung auf die  Quellen des Glaubens, wurde für mich zu einer einzigen großen Inspiration. Hatte sein Vorgänger mich „einberufen“, wies der Ratzinger-Papst mir gewissermaßen meine Aufgaben zu. Schon dafür werde ich ihm immer dankbar sein. Da ist es geradezu eine „Frage der Ehre“, als Journalist die vielen Unterstellungen, Verleumdungen und Unwahrheiten, die in der säkularen Presse über den Nachfolger Petri verbreitet wurden, zu korrigieren. Oder, das gilt für die Zeit seines Nachfolgers, Papst Franziskus: Ihn im richtigen Licht zu interpretieren, statt ihn zur Projektionsfläche für die Wunschvorstellungen gewisser Kreise zu machen. 

War mein Weg eine Aneinanderreihung von Zufällen oder gibt es so etwas wie die göttliche Vorsehung? Von letzterem bin ich überzeugt. Seine Aufgabe mag dem Menschen in die Wiege gelegt worden sein, es ist aber an ihm, sie zu finden. Doch nur der Dienst im göttlichen Weinberg, als noch so kleiner Arbeiter und in welcher Rolle auch immer, gibt dem Leben einen tieferen Sinn und schenkt uns Erfüllung.