Michael Hesemann, Historiker und Autor
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Rede anlässlich der Verleihung des Stephanus-Preises

am 9. Mai 2016, im Festsaal der Juristischen Fakultät der katholischen Péter-Pázmány-Universität zu Budapest

Eminenz,
Exzellenzen, Hochwürdigste Herren, Ehrwürdige Schwestern,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
 
Es erfüllt mich mit tiefer Demut, Dankbarkeit und großer Freude, dass mein schriftstellerisches Wirken in Ihrem schönen Land eine so unerwartete Anerkennung findet.
Dabei waren meine Bücher nur ein bescheidener Beitrag zu einer sehr viel größeren Aufgabe, die uns allen hier im Saal, der nach ihm benannt ist, einst der große, heilige Papst Johannes Paul II. stellte: Der so dringend notwendigen Reevangelisierung Europas.
 
In diesem Jahr feiern wir auf Initiative des Heiligen Vaters, unseres Papstes Franziskus, das Heilige Jahr der Barmherzigkeit. Doch es war in einem anderen Heiligen Jahr, dem Großen Jubiläum im Jahr 2000, als ich gewissermaßen zu den Waffen gerufen wurde, die in meinem Fall bildlich die Feder, tatsächlich aber die Computertastatur, der Bildschirm und die Maus sind. Damals war ich zur Heiligjahrfeier der Journalisten nach Rom gekommen, lauschte der Botschaft des großen, polnischen Papstes und fühlte mich von ihm direkt angesprochen, als er von der Notwendigkeit der Verkündigung der christlichen Botschaft durch das geschriebene und gedruckte Wort in unserer Zeit einer so bedrückenden Dominanz antichristlicher Medien sprach. Dieser Augenblick war mein ganz persönliches Berufungserlebnis, auf das ich durch ein inneres „adsum“ antwortete. In den folgenden Monaten kündigte ich meine damalige Stelle als Chefredakteur eines populärwissenschaftlichen Magazins und besann mich auf meine universitäre Ausbildung als Historiker, um fortan Bücher zu Themen der Kirchengeschichte zu schreiben; das einundvierzigste habe ich gerade fertiggestellt.

Ich habe meine damalige Entscheidung nie bereut, im Gegenteil. Sie half mir, immer tiefer in meinen Glauben einzutauchen, immer vertrauter mit ihm zu werden Je mehr ich mich gerade mit den großen Themen der Kirchengeschichte befasste, je klarer wurde mir zweierlei: Dass Gott als liebender Vater immer wieder in die Geschichte Seiner Kirche eingriff und dass unser christlicher Glaube als wichtigstes Fundament die Wahrheit hat. Und ja, es gibt eine Wahrheit, auch wenn das heute, im Zeitalter des Relativismus, so gerne bestritten wird. Diese Wahrheit hat einen Namen, ja ein Gesicht: Es ist der inkarnierte Logos, der menschgewordene Gottessohn, unser Herr Jesus Christus. Es ist meine, es ist Ihre, es ist unser aller heiligste Aufgabe, die Menschen unserer Nationen zu eben dieser Wahrheit zurückzuführen. Das ist umso wichtiger in einer Zeit, die von so vielen Krisen und Unsicherheiten erschüttert ist, die den festen Halt in Christus, den Fixpunkt der Welt- und Heilsgeschichte, offenbar verloren hat, ja in der so viele Menschen leben, als ob es Gott nicht gäbe.
 
Wenn wir die Geschichte der Menschheit betrachten, so gibt es keine größere Hoffnung und keinen sichereren Garanten für unser aller Wohlergehen als den christlichen Glauben.
Vor ziemlich genau drei Jahren hatte ich die Ehre, von dem ungarischen Vizepräsidenten des Europäischen Parlamentes zu einer Feierstunde anlässlich des 1700. Jahrestages des Toleranzedikts von Mailand eingeladen zu werden, dessen Unterzeichnung gemeinhin als die Geburtsstunde des christlichen Europas gilt. Es war erschreckend und symptomatisch, festzustellen, dass dieser wichtige Termin einfach übergangen worden wäre, doch umso erfreulicher, dass sich ausgerechnet Ungarn daran erinnerte.
Mit dem Toleranzedikt von Mailand, also der Erhebung des Christentums zur „legalen“ und damit politisch Einfluss nehmenden Religion, begann vor 1700 Jahren eine historisch einmalige Erfolgsgeschichte, die, bei allen Höhen und Tiefen, doch eine segensreiche war. Denn wenn wir heute auf die Errungenschaften dieses Kontinentes und seiner Zivilisation zurückblicken, dann müssen wir zugeben, dass sie eben nicht nur auf den Nährboden der griechisch-römischen Welt zurückgehen, sondern eben gerade auf seine „Bewässerung“ mit dem Wasser der Taufe, auf seine Befruchtung durch das Christentum: Universitäten und Krankenhäuser, Sozialfürsorge und Entwicklungshilfe, Bildungssysteme und Menschenrechte wären ohne die Botschaft des Evangeliums nie denkbar gewesen. Um es ganz drastisch zu formulieren: Dass heute keine Menschen mehr als Eigentum eines anderen gelten, das man nach Belieben ausbeuten, quälen oder gar zur sadistischen Unterhaltung an wilde Tiere verfüttern konnte, ja dass es überhaupt keine Gruppe von „Rechtlosen“ und „Minderwertigen“ mehr gibt, dass stattdessen eine Kultur der Gleichwertigkeit aller Menschen, der Fürsorge und der Solidarität entstand, das verdanken wir einzig und allein dem Christentum!
 
Diese unsere Religion hat, wie keine andere, die Menschen immer wieder zu Höchstleistungen inspiriert: Auf den Gebieten von Kunst und Literatur ebenso wie im Bereich der Musik. Sie brachte einen Raphael und einen Michelangelo, einen Dante und einen Cervantes, einen Bach und einen Mozart, aber auch den Universalgelehrten Albertus Magnus, den Domherrn Nikolaus Kopernikus oder den Vater der Urknall-Theorie, den katholischen Priester und Wissenschaftler Abbé Georges Lemaître hervor. 
 
Es ist umso tragischer, dass diese segensreiche Rolle des christlichen Glaubens, der christlichen Kultur und der Kirche durch eine antichristliche Propaganda in Europa immer mehr aus dem öffentlichen Blickfeld verdrängt wird. Es werden nur noch die Werte des Humanismus und der Aufklärung propagiert, ohne dabei zu bedenken, dass wahre Menschenliebe und eine Synthese von Glaube und Vernunft allein Derivate des Christentums sind und darum nur auf einem christlichen Humus wachsen konnten. Nicht umsonst konnten sich humanistische Werte in islamischen Gesellschaften nie durchsetzen. Europa dagegen auf die letzten drei Jahrhunderte seit Kant und Voltaire zu reduzieren, hieße, einen Zweig für stärker als seinen Baum zu halten, ja zu glauben, dass er ohne seine Wurzeln auskommen kann.
 
Europa ist groß geworden, weil es starke Wurzeln hat und auf drei Hügeln steht: Dem Areopag, der griechischen Philosophie also, dem Kapitol, sprich dem römischen Recht, und Golgota als Symbol für das christliche Menschenbild. Diese dreifache Verwurzelung bildet, wie es Papst Benedikt XVI. im September 2011 vor dem deutschen Bundestag erklärte, „die innere Identität Europas. Sie hat im Bewusstsein der Verantwortung des Menschen vor Gott und in der Anerkenntnis der unantastbaren Würde des Menschen, eines jeden Menschen, Maßstäbe des Rechts gesetzt“, die für alle Zeiten gelten. Wo immer auf der Welt heute Zivilisation herrscht, basiert sie auf eben diesen Werten.
 
Umso wichtiger ist es, dass wir den Baum, der aus diesen Wurzeln erwuchs, die christliche Kultur Europas, immer wieder neu bewässern und am Leben erhalten, wozu Ihre wunderbare Buchmesse, die heute eröffnet, gewiss einen wichtigen Beitrag leistet. Es ist wohltuend und beglückend, dass es in Ungarn auch Politiker gibt, die dies begriffen haben und sich auf die christliche Identität unserer Zivilisation besinnen, statt sie durch propagierten Werterelativismus, antichristliche Ideologien wie die Gender-Doktrin und unkontrollierte Zuwanderung nichtchristlicher Völker bewusst zu verwässern.
 
Gerade in unserer Zeit der Infragestellung aller Werte und der Angriffe auf die christliche Identität unseres Kontinentes und unserer Zivilisation ist Ungarn zum Leuchtturm wie zur schützenden Bastion dieses uns alle vereinigenden Erbes geworden. Es ist, als halte Ihr heiliger König István in seiner unverwesten und damit alle Zeiten überdauernder Hand mahnend das Kreuz seinen Gegnern entgegen, in dessen Zeichen Europa seine größte Zeit erlebte. Und schließlich war es auch Ungarn, wo sich vor 27 Jahren zum ersten Mal der Eiserne Vorhang öffnete, der unseren Kontinent viel zu lange teilte, und zusammenwuchs, was ein schrecklicher Krieg getrennt hatte. Vielleicht haben gerade Sie in der Zeit des Kommunismus gelernt, was es bedeutet, in einer gottlosen Gesellschaft zu leben und wissen deshalb umso mehr die Werte des Glaubens und das Erbe unserer Väter zu schätzen. So bin ich umso dankbarer, als deutscher Autor hier in Budapest diesen Preis empfangen zu dürfen, was auch ein Zeichen dafür ist, wie eng unsere gemeinsame und oft auch leidvolle Geschichte Deutsche und Ungarn miteinander verbindet und wie sehr unsere beiden Nationen von dieser gegenseitigen Befruchtung auf geistigem und geistlichem Feld profitierten. Dabei sei nicht vergessen, dass wir Deutschen auch einmal einer Ermahnung aus Ungarn bedürfen, wenn wir das Gemeinsame aus den Augen verlieren – sie tat, bitte erlauben Sie mir diese zeitkritische Anmerkung, auch unserer derzeitigen Regierung Merkel ganz gut.
 
In Budapest mahnte der Eucharistische Weltkongress 1938 vor dem Abfall in die Barbarei der totalitären Systeme, als jener prophetische Kardinalstaatssekretär Eugenio Pacelli, der kein Jahr später als Papst Pius XII. den Thron Petri besteigen sollte, die Kirche und die Völker zum Widerstand gegen den gottlosen Nationalsozialismus und sein antichristliches Menschenbild wie den atheistischen Kommunismus aufrief, den wir nur scheinbar überwunden glauben.
 
In Budapest wird auch im Jahre 2020 ein zweiter Eucharistischer Weltkongress das Licht Christi in unsere Gegenwart scheinen lassen, in ein Europa, dessen größtes Problem seine Gottvergessenheit ist.
 
Von ganzem Herzen danke ich Seiner Eminenz Kardinal Erdö für seine inspirierenden Worte. Ich danke dem Kuratorium der Stephanus-Stiftung, dass es mich für würdig befunden hat, diesen so wichtigen Preis zu empfangen. Und ich danke meinen ungarischen Verlegern und Übersetzern, dass sie mein Werk überhaupt erst den Lesern in Ihrem schönen Land zugänglich gemacht haben und meinem Confrater im Ritterorden der Gottesmutter von Jasna Góra, Dr. Gábor Sarbak, für die Übersetzung.

Vor allem aber geht mein Dank an alle, die mich zu meinen Werken inspiriert haben, allen voran den Stephanus-Preisträger Papst Benedikt XVI. und den großen, heiligen Papst Johannes Paul II., ohne den ich hier nie stehen würde, sowie an alle Priester und Bischöfe, die zu meinen väterlichen Wegbegleitern wurden. Und natürlich danke ich meinem verstorbenen Vater Henner Hesemann und meiner Mutter, ohne die ich den christlichen Glauben nie empfangen hätte, und allen ungarischen Freunden, die mich mit Liebe zu Ihrer schönen Heimat erfüllt haben.
 
Dass ich in diesem Land und in dieser Stadt von Ihnen so gütig geehrt werde, ist mir eine ganz besondere Verpflichtung, weiter an der Bewahrung unseres christlichen Erbes zu arbeiten, sei es in meiner Heimat, in Ihrem Land oder auf unserem gemeinsamen Kontinent Europa.
 
Möge Ihr Heiliger König István, in dessen Namen Sie mich so gütig auszeichnen, dabei mein und unser aller Patron und Vorbild sein. Und möge Gott, der Herr, auf die Fürsprache des heiligen Istváns, Ihr herrliches Vaterland segnen und vor allem Bösen bewahren. Danke!